Herr Primarius Nagele, wie genau wird Endometriose definiert?
Univ. Prof. Nagele: Endometriose bezeichnet das Vorkommen von Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter. Die Gebärmutterschleimhaut, fachsprachlich Endometrium genannt, wird monatlich während der Menstruation abgestoßen. Tritt dieses Endometrium jedoch außerhalb der Gebärmutter auf, spricht man von Endometriose.
Die zentrale Frage lautet: Wie gelangt die Gebärmutterschleimhaut in den Bauchraum? Bis heute existieren mehrere Theorien, doch keine wurde wissenschaftlich eindeutig bewiesen.
Die älteste Theorie ist die der retrograden Menstruation. Sie besagt, dass während der Menstruation nicht nur Blut über die Scheide abfließt, sondern auch Gebärmutterschleimhaut über die Eileiter in den Bauchraum gelangt. Heute weiß man, dass die retrograde Menstruation ein normales, bei jeder Frau vorkommendes Phänomen ist. Dennoch bleibt unklar, warum sich bei manchen Frauen Endometriose entwickelt und bei anderen nicht.
Zudem zeigt sich, dass Endometriose in städtischen Ballungsgebieten häufiger vorkommt als auf dem Land. Dies deutet auf den Einfluss von Umweltfaktoren hin.
Auch eine genetische Komponente spielt eine Rolle: Bei Verwandten ersten Grades tritt Endometriose bis zu siebenmal häufiger auf.
Wie häufig kommt Endometriose bei Frauen im reproduktiven Alter vor?
Univ. Prof. Nagele: Man schätzt, dass jede zehnte Frau im reproduktiven Alter an Endometriose leidet – eine beeindruckend hohe Zahl.
Trotzdem bleibt Endometriose oft unterdiagnostiziert. Viele betroffene Frauen haben keine eindeutige Diagnose, da die einzige verlässliche Methode zur Feststellung der Erkrankung eine Laparoskopie (Bauchspiegelung) ist. Bildgebende Verfahren wie Ultraschall, CT oder MRT können zwar Hinweise auf Endometriose geben, liefern aber keinen endgültigen Beweis. Die Laparoskopie ist ein operativer Eingriff unter Vollnarkose, was möglicherweise erklärt, warum viele Frauen bis heute ohne Diagnose bleiben.
Frauen mit Endometriose-Symptomen suchen oft jahrelang verschiedene Ärzte auf, ohne die richtige Diagnose zu erhalten, und werden daher häufig falsch behandelt. Im Durchschnitt dauert es etwa sieben Jahre, bis Endometriose schließlich erkannt wird.
Welche Symptome gibt es bei Endometriose?
Univ. Prof. Nagele: Das Hauptsymptom der Endometriose ist eine schmerzhafte Regelblutung. Die Herausforderung besteht jedoch darin, dass viele Frauen während der Menstruation Schmerzen haben, ohne an Endometriose zu leiden – dies liegt daran, dass sich die Gebärmutter krampfartig zusammenzieht, um die Gebärmutterschleimhaut abzustoßen. Dennoch gibt es einige Anzeichen, die auf Endometriose hindeuten können. Ein Hinweis ist, wenn die Schmerzen über die Jahre zunehmen oder wenn die Einnahme der Pille eine deutliche Linderung der Schmerzen bewirkt.
Interessanterweise können Frauen mit schwerer Endometriose nur geringe Beschwerden haben, während andere mit wenigen Herden im Bauchraum unter starken Schmerzen leiden.
Wie wirkst sich Endometriose auf die Fruchtbarkeit aus?
Univ. Prof. Nagele: Endometriose beeinflusst das Mikroklima im Bauchraum, sodass die Eizellen im Zuge des Eisprungs mit diesem veränderten Umfeld in Berührung kommen. Dies könnte erklären, warum eine Befruchtung erschwert oder sogar verhindert wird.
Welche Therapieansätze gibt es für Endometriose?
Univ. Prof. Nagele: Grundsätzlich zielt die Therapie in erster Linie auf die Schmerzbehandlung ab. Dies ist leichter zu erreichen, da dabei der Fokus auf der Senkung des Östrogenspiegels liegt. Östrogene, die in den Eierstöcken produziert werden, wirken wie Treibstoff für die Endometriose. Daher bessert sich die Erkrankung oft in den Wechseljahren, wenn die Eierstöcke ihre Hormonproduktion allmählich einstellen.
Der Östrogenspiegel kann entweder durch die Einnahme der Pille oder durch stärkere Hormonpräparate gesenkt werden.
Kommt jedoch ein Kinderwunsch ins Spiel, fällt diese Therapieoption weg, da ein funktionierender Zyklus und die Hormone für die Fruchtbarkeit entscheidend sind.
Je früher die Diagnose gestellt wird, desto effektiver kann eine operative Sanierung sein. Frauen haben in den Monaten nach einem solchen Eingriff deutlich bessere Chancen, schwanger zu werden. Daher empfehlen wir Frauen mit Kinderwunsch und Endometriose in der Regel eine operative Behandlung.
Gibt es Chancen, mit Endometriose natürlich schwanger zu werden?
Univ. Prof. Nagele: Dies hängt vom Zustand der Eierstöcke ab, doch generell bestehen nach einer operativen Sanierung gute Chancen, auf natürlichem Wege schwanger zu werden.
In Folge heißt es, dass Frauen mit Endometriose nicht zwingend IVF-Behandlungen durchlaufen müssen?
Univ. Prof. Nagele: In fortgeschrittenen Fällen oder nach einer Behandlung wird empfohlen, auf assistierte Reproduktionsmedizin zurückzugreifen, falls innerhalb von 6 bis 12 Monaten keine spontane Schwangerschaft eintritt.
Wie sieht die Forschung zum Thema Endometriose aus, gibt es vielversprechende Therapieansätze?
Univ. Prof. Nagele: Sowohl in Österreich als auch international wird intensiv an der Erforschung der Endometriose gearbeitet. Dennoch bleibt die Frage, wie und warum die Krankheit entsteht, weiterhin ungeklärt. Es gibt stetig neue Therapieansätze, die alle darauf abzielen, die hormonelle Aktivität der Eierstöcke zu beeinflussen.
Gibt es andere Möglichkeiten, um Symptome von Endometriose zu verbessern?
Univ. Prof. Nagele: Es gibt fundierte Studien, die die Bedeutung eines aktiven Lebensstils und einer ausgewogenen Ernährung unterstreichen. Insbesondere die mediterrane Diät sowie regelmäßige Bewegung haben sich als förderlich erwiesen. Gleichzeitig wird empfohlen, den Konsum von rotem Fleisch, verarbeiteten Lebensmitteln, Zucker und Koffein zu reduzieren.